Bachelorarbeit bringt Licht in die Rolle des BRK Dachau im Nationalsozialismus

Dachau – Mit einer Bachelorarbeit im Fach Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist es Tizian Bartling gelungen, die Lücke in der Geschichtsüberlieferung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Stadt Dachau zu füllen.

Auf einer Pressekonferenz im Rotkreuzhaus stellte Tizian Bartling die Forschungsergebnisse seiner Bachelorarbeit „Humanität im Schatten des Lagers? Das Deutsche Rote Kreuz Dachau im Nationalsozialismus“ einer Reihe von Journalistinnen und Journalisten vor. Interessiert am Vortrag waren auch Landrat Stefan Löwl sowie Oberbürgermeister Florian Hartmann. Als Vertreter der Stabstelle in der KZ Gedenkstätte Dachau war Albert Knoll anwesend. Dem BRK-Kreisvorsitzenden Bernhard Seidenath ist es seit Jahren ein Anliegen, „genauer auf die dunkelste Zeit zwischen 1933 bis 1945 zu schauen“, wie er sagte. In der Chronik, die 1989 zum einhundertjährigen Bestehen des Roten Kreuzes in Dachau herausgegeben wurde, und auch in den späteren Ergänzungen fehlt diese Zeitspanne. Das liegt auch daran, dass die Quellenlage im hauseigenen Archiv unvollständig sei, wie Tizian Bartling berichtete. Für eine fundierte Forschung über das Dachauer Rote Kreuz im Nationalsozialismus war ein tiefergehendes Quellenstudium notwendig, unter anderem im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, im Archiv des Regierungsbezirks Oberbayern und im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde. Der Geschichtsstudent engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich als Rettungssanitäter für das BRK Dachau und leitet dort auch die Arbeitsgruppe Historisches Erbe. Ihm war es wichtig, die Eingliederung der Kreisstelle Dachau in die lokalen Strukturen des NS-Staates und seiner Organisationen zu untersuchen. Somit konnte er eine Gleichstellung des Roten Kreuzes nachweisen. Die einst freiwilligen Sanitätskolonnen erfuhren durch die Einführung des „Führerprinzips“ eine gewisse Militarisierung, der „deutsche Gruß“ wurden zum offiziellen Dienstgruß, bei öffentlichen Feiern prangten neben dem Roten Kreuz die NS-Symbole Hakenkreuz und Reichsadler. Eine rege Interaktion des Führungspersonals mit lokalen NS-Verbänden, auch der Frauenschaft, beispielsweise bei gemeinsamen Dienstabenden belegt Bartling ebenfalls. „Die DRK-Frauenschaft besuchte die SS-Plantage Kräutergarten“, so Bartling. Der BRK-Kreisgeschäftsführer Dennis Behrendt bedauerte, dass das Rote Kreuz gegen die beiden Grundsätze der Unparteilichkeit und Neutralität verstoßen hat. „Das schmerzt. Es ist enorm wichtig, dass in Zukunft immer an diesen Grundsätzen festgehalten wird“, so Behrendt.

Im Alltag der Stadt interessierten Bartling die Verbindungen zwischen dem Rotem Kreuz und den Dachauer NS-Verbänden. Er führte aus: „Das zentrale Interesse der Arbeit stellt jedoch die Frage nach einer Beteiligung des Dachauer Roten Kreuzes am Betrieb des Konzentrationslagers oder im Durchgangslager in Dachau dar.“ Das Durchgangslager für Zwangsarbeiter aus der Ukraine und Galizien befand sich an der Kufsteiner Straße, etwa dort, wo heute der Skaterpark der Stadt Dachau liegt. Dort waren Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes 1942 bei Entkleidungs- und Entlausungsmaßnahmen sowie zur medizinischen Versorgung eingesetzt. Laut seinen Nachforschungen hat sich das Dachauer Rote Kreuz zu einem festen Bestandteil der Dachauer NS-Verbände verändert und stand im regen Kontakt mit lokalen NS-Organisationen. Ab 1938 folgte die Umstrukturierung zur „DRK-Kreisstelle Dachau“. DRK-Kreisführer war Landrat Dr. Emil Böhmer, seit 1933 Mitglied der NSDAP. Dachauer Rotkreuzhelferinnen und -helfer wurden an der Ostfront und in den Luftschutzräumen der Stadt eingesetzt. Nicht belegen ließ sich eine Verwicklung des Dachauer Roten Kreuzes in Vorgänge innerhalb des KZ Dachau, beispielsweise in Form eines Paketannahmedienstes für die Häftlinge. Tizian Bartling resümierte: „Im Kontext der bisherigen Forschung zur NS- Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes stehen die Ergebnisse beispielhaft für die freiwillige Anpassung des Verbandes an die Ideologie des Nationalsozialismus. Die Beteiligung am Durchgangslager stellt außerdem einen Beweis für die bisher noch kaum untersuchte Verwicklung des Roten Kreuzes in die Verbrechen des NS-Staates dar.“ Albert Knoll aus der KZ-Gedenkstätte betonte, wie wichtig diese Forschung sei. „Sie haben ein leeres Blatt gut gefüllt“, richtete er sich an Tizian Bartling. Ein weiteres, noch zu bearbeitendes Feld seien die Verbindungen zur Organisation Todt. OB Florian Hartmann bedankte sich für die Darstellung: „Ich begrüße es, wenn Dachauer Organisationen und Vereine ihre Geschichte aufarbeiten. Daraus müssen wir Lehren für die Zukunft ziehen.“ Landrat Stefan Löwl bedauerte, dass es im BRK keine Zeitzeugen mehr gibt. „Wir müssen für die Zukunft unsere Lehren daraus ziehen“, so Löwl. Den BRK-Kreisvorsitzenden Bernhard Seidenath beschäftigt die Frage, wie man die Beteiligung des Roten Kreuzes am ehemaligen Durchgangslager an der Kufsteiner Straße für die Öffentlichkeit sichtbar machen kann. „Wir wollen uns unserer Verantwortung – auch für das „Nie wieder!“ – stellen und diese in geeigneter Form zum Ausdruck bringen“, so Seidenath.

Foto (von li nach re): Bernhard Seidenath, Tizian Bartling, Stefan Löwl, Dennis Behrendt, Angelika Gumowski, Florian Hartmann und Albert Knoll.