Seit Anfang 2020 ist das Rote Kreuz auf der ganzen Welt ununterbrochen im Ausnahmezustand. Mit Stabsarbeit, Masken nähen, Logistikeinsätzen, Notkrankenhäusern, Impfzentren, Schnellteststationen und vielem mehr. Auch der Kreisverband des BRK Dachau ist als Hilfsorganisation im Pandemie-Dauereinsatz.
Dem BRK-Kreisvorsitzenden Bernhard Seidenath, MdL ist es gelungen, sechs prominente Gäste, darunter die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes Gerda Hasselfeldt, zu einer virtuellen Diskussionsrunde einzuladen. Unter der Moderation von Silke E. Otto wurde erörtert, wie die Hilfe innerhalb und außerhalb unseres Landkreises aussieht und welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Bevölkerung und auch auf die Hilfsorganisation hat.
Eine erste strukturelle, finanzielle und menschliche Bilanz wurde gezogen. Das Bayerische Rote Kreuz ist finanziell auf sich gestellt und hat durch die Pandemie große Einbußen erlitten. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts bekommt es keine institutionelle Förderung und ist auf Spenden und Zuwendungen angewiesen. Besonders interessant machten die 90-minütige Runde die persönlichen Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer.
Als Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes und ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages berichtete Gerda Hasselfeldt über den ersten Schock, den die Pandemie ausgelöst hatte. Die ersten Einzelfälle in München und die Wuhan-Rückkehrer mussten in Quarantäne gebracht und betreut werden. „Man wusste nicht, ob sie infiziert und ansteckend sind. Wir haben sofort gesehen, dass Hilfe notwendig ist. Es fanden sehr viele Gespräche mit dem Kanzleramt und anderen Regierungen statt“, so Hasselfeldt. Den gesamten Rotkreuz-Verband habe die Pandemie ab dem ersten Tag gefordert. Infizierte wurden mit Flugzeugen geholt und in DRK-Kliniken auf den Intensivstationen betreut. Anderen Ländern wurde mit Schutzausrüstung geholfen. „Was da an der Basis geleistet wurde, war enorm. Wir haben gezeigt, wozu wir in der Lage sind“, so Hasselfeldt.
Die Moderatorin Silke E. Otto richtete an den Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, Leonhard Stärk, die Frage nach der Gesamtherausforderung. Laut Stärk sei man auf das Thema Schutzausrüstungen in den 73 Kreisverbänden und fünf Bezirksverbänden in keinster Weise vorbereitet gewesen. Auch nicht auf die Länge der Katastrophe und wie sie sich weiter entwickeln werde. „Das ist nicht zu vergleichen mit drei Wochen Hochwasser“, so Stärk. Aus Sorge um die Mitarbeitenden und ihren Schutz habe er nächtelang nicht geschlafen. Als am 14. März 2020 der Katastrophenfall erklärt und der Krisenstab eingerichtet wurde, habe die Koordination gleich erstklassig funktioniert. Stärk betonte: „Wir konnten Strukturen schaffen und haben den Überblick behalten.“
Bernhard Seidenath, Vorsitzender des BRK-Kreisverbandes Dachau und Mitglied des Landtages, berichtete über die Vorteile der engen Verbindung zur Politik. Noch nie zuvor habe es im Gesundheitsausschuss im Landtag so viele Sondersitzungen gegeben. Auch sei das Bayerische Infektionsschutzgesetz verabschiedet worden, das es vorher nicht gab. Er betonte: „Dinge, die im Ministerrat beschlossen wurden, konnte ich vor Ort umsetzen.“ Die Angst, dass die Intensivstationen volllaufen, sei sehr groß gewesen. Aus diesem Grund wurde ein Hilfskrankenhaus geplant. „Ich hoffe, dass wir die Katastrophensituation hinter uns gelassen haben. Das Virus verzeiht keinen Fehler“, so Seidenath.
Daran anknüpfend sagte Landrat Stefan Löwl, dass es im Grunde nicht möglich sei, sich auf so eine Katastrophe vorzubereiten. „Aber wir hatten Menschen, die sofort halfen, im Hauptamt und im Ehrenamt“, so Löwl. Eine sehr große Herausforderung stelle die Kommunikation mit den Bürgern dar, denn nicht mehr alle seien über die Zeitungen zu erreichen, über die sozialen Medien eine andere Minderheit. Die Auswirkungen auf das soziale Leben mit home schooling und home office seien enorm, auch die Vereine hätten durch die Pandemie stark gelitten. „Wir haben viel verloren“, so Löwl.
Eine wichtige Frage sei, wie die Mobilität der Zukunft aussehen werde. „Die Straßen sind voll und die Busse leer“, so Löwl. Ein hohes Busaufkommen sei aber auf Dauer nicht finanzierbar. „Die Verschiebungen können wir noch nicht absehen“, so Löwl.
Silke E. Otto stellte Dr. Christian Günzel, Chefarzt des BRK Dachau und Versorgungsarzt des Landkreises, die Frage, wie man anfangs mit dem Virus umging. Günzel antwortete: „Die Lage war langsam, aber dynamisch, denn die Veränderungen kamen unaufhörlich.“ Eine große Herausforderung sei zunächst die intensivmedizinische Versorgung gewesen, die im Landkreis engagiert hochgefahren wurde. „Wir alle hatten die Bilder aus Italien im Kopf“, so Günzel. Der Landkreis Dachau sei immer vor der Welle gewesen. Das Impfzentrum bezeichnete Günzel als positives Erlebnis. „Hier erlebt man, wie man Menschen helfen kann.“
Über die Schwerpunkte in der Pandemie aus Sicht der Bereitschaften sprach Kreisbereitschaftsleiter Reinhard Weber. Die erste Welle sei schwierig gewesen, weil die Mitarbeiter in den Bereitschaften für Hilfskrankenhaus und Rettungstransporte auf Abruf bereitstanden. „Das war schwierig, denn das normale Leben ging weiter“, so Weber.
Zum Schluss berichtete Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka über seine Aufgaben als Krisenmanager. Der Einsatzstab hatte die Aufgabe, den Überblick im Landkreis zu behalten. Das wäre wichtig, um die Hilfeleistungsfähigkeit zu erhalten. Eingeübte Strukturen und ausgebildete Kräfte seien dafür wichtig. Vor allem aber habe der Kreisverband mit wirtschaftlichen Auswirkungen zu kämpfen, denn über Monate seien Einnahmequellen wie Rotkreuzshops und Sanitätsdienstleistungen weggefallen. Dazu kamen erhöhte Ausgaben für Schutzausrüstung und Personal. Dieses Unverhältnis habe der Kreisverband zwar zum Teil durch Spenden auffangen können und auch das Impfzentrum, das an Weihnachten in Start Up-Manier aus dem Boden gestampft wurde, habe einen Hoffnungsschimmer gebracht. „Es ist beachtlich, mit welcher Unterstützung wir rechnen konnten.“ Doch nur mit Spenden könne man eine Pandemie nicht kompensieren, so Polyfka. Anders als ein Wirtschaftsunternehmen kann das BRK nicht auf Milliardengewinne aus der Vergangenheit zurückgreifen. „Wir schwimmen immer um die schwarze Null herum“, so Polyfka.
Dennis Behrendt, stellvertretender Kreisgeschäftsführer und Leiter Rettungsdienst, richtete an Gerda Hasselfeldt und an Leonhard Stärk die Frage, wie die BRK-Kreisverbände finanziell stärker unterstützt werden könnten. Um seinen humanitären Auftrag in der Pandemie zu erfüllen, sei das BRK Dachau unverschuldet in Not geraten. Leonhard Stärk antwortete: „Wir konnten nicht in den Steuertopf greifen und auch keine kommerziellen Rücklagen bilden. Ich hoffe, der Freistaat wird die Kosten für den Katastrophenfall refinanzieren, so dass wir mit einem blauen Auge davonkommen.“
Gerda Hasselfeldt richtet den Blick in die Zukunft. Man habe auch viel aus der Krise gelernt, Schwachstellen und Stärken erkannt. Die Stärkung der Gesundheitsämter, die Digitalisierung und die Anerkennung der medizinischen Berufe und Pflegeberufe mit einer besseren Bezahlung seien von entscheidender Bedeutung. „Und wir müssen Material vorhalten, Lieferketten aufrechterhalten und dürfen nicht von Asien abhängig sein“, so Hasselfeldt. Für Leonhard Stärk hat die Pandemie auch etwas Positives: „Wir sind zusammengerückt.“