Die ausgebildete Krankenschwester Tamara steigt mühsam über die aufgerissene Straße und betritt das dunkle Treppenhaus eines alten Wohnblocks in Iwano Frankiwsk in der Ukraine. Von den Wänden bröckelt der Putz, die letzte Reinigung muss schon einige Wochen her sein.
Ihre Patientin, eine 85-jährige alleinstehende Dame, öffnet ihr umständlich die Tür. Im Flur finden sich "Möbel" aus Kartons. Ihre Brille ohne Bügel trägt sie mit einem Stück Draht hängend um den Hals. Krankenschwester Tamara, die seit 2011 für das Rote Kreuz arbeitet, berichtet, dass die Patientin immer bemüht ist, alle anfallenden Aufgaben selbst zu erledigen. Leider schafft sie es aufgrund Ihrer fortgeschrittenen Erkrankung nun nicht mehr, sich selbst zu versorgen. Ein zunehmender Sehverlust zwingt sie im Mai zu einem erneuten Krankenhausaufenthalt. Wie sie diesen finanzieren soll, weiß sie noch nicht. Eine Unterstützung durch die staatlichen Krankenschwestern der Poliklinik hat sie noch nie erfahren.
Diese erschreckende Armut und die Hilflosigkeit der alten, alleinstehenden Menschen in der Ukraine war der Auslöser für das Dachauer Rote Kreuz 2018 das Projekt „Krankenschwestern für Iwano Frankiwsk" ins Leben zu rufen. Einen funktionierenden Sozialdienst gibt es nicht, der ukrainische Staat hat die Finanzierung von Gebietskrankenschwestern vor einigen Jahren eingestellt.
Genau hier setzt das „Krankenschwestern-Projekt“ des Dachauer Roten Kreuzes an. Mit Krankenschwestern, die Hausbesuche machen und den alten Menschen die so dringend benötigte Hilfe gewähren. Die Erfolgsbilanz seither ist beeindruckend: Die vom BRK Dachau finanzierten Krankenschwestern betreuen insgesamt 200 Patientinnen und Patienten, die mit ihrer Durchschnittsrente von 50 bis 100 Euro völlig hilflos wären.
Sie unterstützen die Patienten täglich bei allen medizinischen und sozialen Problemen, besorgen Medikamente, geben Injektionen, leisten pflegerische Hilfe, kaufen ein. Und sie bringen menschliche Wärme in den trostlosen Alltag der hilflosen alten Menschen.
Hans Ramsteiner, der Initiator und Projektleiter, ist nach wie vor überzeugt: „Eine größere soziale Hebelwirkung können wir nirgendwo anders in dieser Form erreichen!“
Dank treuer Sponsoren, überwiegend aus dem Dachauer Landkreis, geht das Projekt nun mittlerweile in das vierte Jahr. Die Coronakrise macht die Unterstützung noch bedeutender, denn die Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die sozialen Missstände in der Ukraine. Diese Form der internationalen Hilfe wird in ganz Deutschland als Leuchtturmprojekt gewertet, freut sich auch Bernhard Seidenath, der Kreisvorsitzende des BRK Dachau. Er konnte sich 2019 direkt vor Ort ein Bild von der sozialen Notlage der älteren Menschen machen. Sein Fazit: „Jeder Euro kommt zu 100 Prozent den Hilfsbedürftigen in der Ukraine zugute - herzlichen Dank an alle Sponsoren!“.