Wenn Rettungskräfte mit Konflikten und angespannten Situationen konfrontiert werden, bedeutet das für sie ruhig zu bleiben und zu deeskalieren. Wegen Corona stößt eine BRK-Rettungssanitäterin in ihrer Nachbarschaft auf Unverständnis. Ihre beiden Töchter werden von den Nachbarskindern gemieden.
Sabine R. (Name geändert) lebt mit ihrer Familie in einer Gemeinde im Dachauer Landkreis. Seit vielen Jahren ist sie als hauptamtliche Rettungssanitäter beim BRK Dachau tätig. In ihrer Heimatgemeinde engagiert sie sich auch ehrenamtlich beim HvO (Helfer vor Ort). Seit Corona werden Sabine R.s Töchter Annika und Leonie (Namen geändert) von den anderen Kindern in der Straße gemieden. Vor allem die neunjährige Annika ist betroffen. Zwei gleichaltrige Mädchen aus der Nachbarschaft dürfen nicht mehr mit Annika spielen, weil Sabine R. bei Rettungseinsätzen auch – wenn auch sehr selten - Corona-Patienten versorgt. Andere Kinder werden sogar vor Annika gewarnt. Annika ist darüber sehr traurig und versteht die Welt nicht mehr. Sabine R. hat versucht mit den Eltern zu sprechen. „Das hat nichts gebracht“, bedauert sie.
Der BRK-Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka und sein Stellvertreter und Leiter Rettungsdienst Dennis Behrendt nehmen diesen Vorfall sehr ernst. Schließlich gilt es die eigenen Mitarbeiter*innen im Berufsalltag nicht nur vor Gefahren, sondern auch vor Anfeindungen und Ausgrenzung zu schützen. „Unsere Mitarbeitenden leisten eine sehr wertvolle Aufgabe für unsere Gesellschaft. Dass sie und sogar ihre Kinder wegen ihres Berufes gemieden, um nicht zu sagen angefeindet werden, ist erschreckend“, betont Dennis Behrendt. Als Leiter Rettungsdienst steht er im engen Austausch mit den Einsatzkräften in den Rettungswachen in Gröbenried, Indersdorf und Odelzhausen. Jeder Einsatz wird genau dokumentiert, die Corona-Einsätze machen einen geringen Bruchteil aller Fahrten aus, so Behrendt. „Unsere Mitarbeitenden erfahren in der Regel große Wertschätzung von den Patienten“, berichtet Dennis Behrendt. Hin und wieder kommt es aber schon zu Ausnahmensituationen, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist. Auf dem Faschingsumzug in Vierkirchen 2019 griff ein Betrunkener zwei Sanitäterinnen an und verletzte sie schwer. Einer der beiden Frauen schlug der 38-Jährige mit der Faust ins Gesicht, die andere Sanitäterin verletzte er durch einen Biss. Beide Helferinnen mussten im Indersdorfer Klinikum versorgt werden. 2015 wurde eine ehrenamtliche Helferin des Roten Kreuzes beim Faschingskehraus in Weichs angegriffen. Der Schlag eines Jugendlichen traf sie so hart am Kopf, dass sie mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus gebracht wurde. Derartig aggressive Einsatzsituationen sind Gott sei Dank selten, sie machen lediglich etwa 0,01 Prozent aus. Für solche Fälle werden die Einsatzkräfte geschult, um eine Eskalation frühzeitig zu verhindern und die Spannung abzubauen. „Wer weiß, wie Gewalt und Aggression entstehen und wie ihnen am besten begegnet werden kann, ist besser für solche Situationen gerüstet“, erläutert Paul Polyfka. Er ist froh, dass solche Vorfälle selten passieren und doch sind sie für ihn ein Zeichen mangelnden Respektes vor der oft lebensrettenden Arbeit der Helfer*innen. Über die Ausgrenzung von Sabine R. und ihrer Familie ist der BRK-Kreisgeschäftsführer besorgt. „Ich kann gut verstehen, dass Mitmenschen Angst vor einer Corona-Ansteckung haben. Und ich wünsche mir, dass sie sich über unsere Arbeit informieren und nicht die Familien unserer Kolleginnen und Kollegen grundlos diskriminieren“, so Polyfka. Die Hygienevorschriften werden auf den Einsatzfahrten penibel eingehalten. Für Corona-Patienten steht ein speziell ausgerüstetes Fahrzeug zur Verfügung, das nach jeder Fahrt desinfiziert wird. Die Rettungssanitäter*innen sind mit Overall, FFP2-Maske, Schutzbrille und Handschuhen ausgestattet.
Sabine R. liebt ihren Beruf über alles. Sie sagt: „Mit so etwas hätte ich wirklich überhaupt nicht gerechnet. Wir halten alle Hygienevorschriften ein, um uns zu schützen. Das wissen auch unsere Kinder“, so die 37-jährige BRK-Mitarbeiterin. Sie macht sich Sorgen, dass ihre Kinder noch stärker ausgegrenzt werden, wenn nach Pfingsten die Schule wieder anfängt. Enttäuscht sagt sie: „Ich war der Meinung durch die vielen Spenden und den öffentlichen Beifall hätten wir Hilfskräfte einen gewissen Stellenwert gewonnen, der mich auch ein bisschen stolz gemacht hat. Leider muss ich gerade erleben, dass meine Kinder aufgrund meines Berufes gemieden werden. Das trifft mich extrem hart.“ Sie wünscht sich, dass ihre Töchter von den Nachbarskindern wieder wie früher akzeptiert werden.